Echt, authentisch, wirklich? Das authentische Bild – die große Frage, seit es Fotografie gibt. Teil 1
Fotografen, die für Werbekampagnen mit Models arbeiten, kennen den Anspruch: “das muss authentisch ´rüberkommen“. Für jedem Influenzer, für jeden Politiker gilt die Ansage „Authenzität ist das A und O für den Erfolg“,
Vor einigen Monaten war zumindest in deutschen Medien und Fotografie-affinen Blogs der große Aufreger um „gestellte Bilder“/Stockbildern/Symbolbildern, Authentizität der journalistischen Arbeit zum Thema soziale Realität. Die Fragen, die sich aus dieser Diskussion für nachrichtliche, journalistische Medien jeder Art ergeben: kann es „Symbolbilder“ über Stock-Fotografie geben oder gilt nur das „journalistische Bild“?
In den letzten Jahren wurden wiederholt Preisträger des renommierten World-Press-Photo-Wettbewerbs disqualifiziert, weil sie Bildinhalte manipuliert hätten (z.B. 2019 Stefan Rudik, 2013 Paul Hansen, 2015 Giovanni Troilo).
Am 04.11.2019 gab nun Adobe bekannt, zusammen mit Twitter und der New-York-Times die „Content Authenticity Initiative (CAI)“ zu gründen, um einen Industriestandard für die Attribution digitaler Inhalte zu entwickeln. Ziel sei es, zur Wahrung eines gemeinsamen industriellen Standards der „digitalen Integrität“ beizutragen, um Verbrauchern zu helfen, digitale Medien besser einschätzen und deren Bearbeitung beurteilen zu können. Was das für die Urheber heisst – Fluch oder Segen- wird sich weisen.
Bildbearbeitung ist heute keine Zauberei mehr, Apps und Features in Bildbearbeitungsprogrammen machen es selbst Laien einfach, „Looks und Feels“ zu kreieren, ganze Bildelemente zu eliminieren, Personen altern oder verjüngen zu lassen, Bilder aus Einzelaufnahmen zu kombinieren und so weiter und so fort…
Jeder weiß, dass Maler und Bildhauer der vergangenen Jahrtausende Idealbilder nach ihrem Wunschvorstellungen oder den Vorgaben ihrer Auftraggeber gefertigt haben. Dass Maler ihr Sujet interpretieren, wird kulturell vorausgesetzt. Allerdings: jedes Selbstportrait von Dürer, da Vinci, Rembrandt, Courbet, van Gogh usw. wird als interpretiert, aber authentisch wahrgenommen.
Als „technisches Verfahren“ scheint die Fotografie Wirklichkeit dagegen lediglich abzubilden – der Glaube ist ungebrochen: das fotografische Bild stelle die Wirklichkeit unverfälscht, dar. Typisch dafür: das Beweisfoto vor Gericht, das Bild im amtlichen Ausweis, das Nachrichtenbild… weit gefehlt.
Ein Trugschluss, der seit dem Beginn der Fotografie besteht. Ob Niépce, Daguerre, Talbot, von Angang an: spätesten 1871 wurde ein manipuliertes Bild zur „Meinungsbildung“ eingesetzt: Aber schon 1840 inszenierte sich einer der Väter der Fotografie Hippolyte Bayard als Ertrunkener – als Verlierer, als Opfer der Regierung in der Auseinandersetzung seines Verfahrens gegenüber Daguerre (siehe Beitragsbild). Ernest Eugène Appert inszenzierte „die Verbrechen der Commune“ 1870 mit Schauspielern in seinem Atelier und tauschte deren Köpfe gegen die der wichtigsten Protagonisten aus.
Die Bildergalerie des Spiegel-Artikels zeigt etliche Beispiele von Bildmanipulation im politischen Interesse. Neben Manipulation zu Propagandazwecken (missliebige Politiker wurden herausretouschiert, Greuelszenen inszeniert) war auch das „Aufhübschen“ von Personen oder Gebäuden seit den Kindertagen der Fotografie gang und gäbe https://www.spiegel.de/geschichte/bildmanipulation-falsche-fotos-vor-der-digital-aera-a-996453.html.
Manipulation setzt schon weit vor der – digitalen- Bildbearbeitung an – allein die Inszenierung eines Motivs (siehe oben: „Symbolbild“) und sogar schon die Wahl des Blickwinkels stellt eine vom Fotografen geschaffene Realität dar, statt ein „echtes“ Ereignis 1:1 physikalisch abzubilden.
Neben politischer Schönfärberei stellen heute unter anderem die Kunstwelten der Werbeindustrie, die Kunstwelten der Eigendarstellung die größte Anzahl der manipulierten Bilder.
Das manipulierte Bild ist der Alltag – was ist aber das „authentische Bild„? eine spannende Diskussion, die ich u.a. mit Thomas Hobein führen werde. Los geht es im Januar 2020.
Beitragsbild: Le Noyé. Hippolyte BAYARD. 1840. Positif direct sur papier, 13,8 x 12,7 cm/ mit freundlicher Genehmigung der Collection Société française de photographie
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