Das Ende der Streetphotography als Kunst?
Walker Evans, Henri Cartier-Bresson, Robert Doisneau – ihre Arbeiten sind als Kunst anerkannt. Die Fotografien gehören zum Kunstkanon, werden von Museen und Privaten gesammelt und ausgestellt und erzielen auf Kunstauktionen Höchstpreise.
„Streetphotography“, Streetfofotografie ist nicht nur Zeitdokument, sondern auch Kunst. Man sollte denken, das gelte auch für zeitgenössische, authentische Fotografie.
Das dem so ist, der Ort der Ausstellung des gerichtlich anerkannten Kunstwerks trotzdem eine Persönlichkeitsverletzung sein kann, zeigt eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2018.
Ein Beispiel für den Konflikt von Grundrechten und für die Auslegung, was Kunst von Paparazziaufnahmen für die Yellow-Press unterscheidet, ist der gerichtliche Streit um Bilder, die vom Fotografen Espen Eichhöfer auf einer Ausstellung von C/O Berlin im September 2013 gezeigt wurden.
Irritierend ist, dass sich die Entscheidungen aus 2015 und 2018 nicht allein über die Abwägung zwischen Kunsturheberrecht / Schranken Kunstvorbehalt aus §23 1 / 4 und Persönlichkeitsrecht Art.1 Abs.1 GG iVm Art .2 Abs.1 GG und KUG §22 / 1 beziehen, sondern sich darüber definieren, was Gerichte für eine klassische Kunstausstellung halten.
Der Fall ist eigentlich ganz einfach: ein Fotograf nimmt eine Straßenszene auf.
Bestandteil des Bildes ist eine Dame, die sich in öffentlichem Raum bewegt und nicht in einer privaten, intimen oder abgeschirmten Szenerie herausgehoben dargestellt wird. Den Kunstzusammenhang im Allgemeinen stellen die Berliner Gerichte nicht in Frage, eine schwere Verletzung des Persönlichkeitsrecht wird verneint, Schadenersatzansprüche (Geldentschädigung für immateriellen Schaden) werden ihr nicht zuerkannt. Soweit, so gut.
Allerdings setzt die Dame einen Unterlassungsanspruch durch und möchte die entstandenen Kosten erstattet haben.
Das Bild wurde veröffentlicht im Rahmen einer Kunstausstellung anlässig der Umzugs der renommierten Galerie C/O Berlin mit der Präsentation der Bildagentur Ostkreuz „ Ostkreuz.westwärts“ vor den neuen Galerieräumen von C/O auf öffentlichem Grund, Ausstellungsankündigungen und – dokumentationen finden auch im Internet und auf Facebook statt. Die gesamte Ausstellung wird vor endgültigem Bezug der neuen Räume vor diesen Räumlichkeiten alternativ großformatig vor den neuen Räumen am Straßenrand von vielbefahrenen Berliner Straßen präsentiert.
Das Bildnis der Dame tauchte also auch in einer erweiterten Öffentlichkeit auf. Das Bildnis der Dame wurde nach nach aussergerichtlicher Einigung / Unterlassungserklärung sofort vom Fotografen und C/O Berlin aus der Ausstellung entfernt.
Es gibt kein Model Release der Abgebildeten, d.h. sie hat einer Abbildung nie zugestimmt. Das Urheberrecht §18 sagt aber: „Das Ausstellungsrecht ist das Recht, das Original oder Vervielfältigungsstücke eines unveröffentlichten Werkes der bildenden Künste oder eines unveröffentlichten Lichtbildwerkes öffentlich zur Schau zu stellen.“ und das KUG sagt im § 23, Absatz1 Punkt 4: ( (1) Ohne die nach § 22 erforderliche Einwilligung dürfen verbreitet und zur Schau gestellt werden: 4. Bildnisse, die nicht auf Bestellung angefertigt sind, sofern die Verbreitung oder Schaustellung einem höheren Interesse der Kunst dient.)
Die Zustimmung wäre relevant, wenn das Bild in irgendeiner Weise gewerblich eingesetzt worden wäre oder es sich nicht um Kunst gehandelt hätte.
Das Landgericht Berlin gibt der Dame zum Teil Recht. Dem Kunstanspruch widersprechen die Gerichte nicht. Die Persönlichkeitsverletzung sei nicht schwerwiegend, Schadensersatzansprüche werden verneint. Die Art der Darstellung der Dame müsse sie, da sie sich im öffentlichen Raum bewegt habe und in keiner intimen Situation abgelichtet wurde, zu Gunsten des Kunstvorbehaltes in Kauf nehmen. Schadensersatzansprüche oder Geldentschädigung für immateriellen Schaden, die sich aus Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Medienbereich, der Paparrazzi-Fotografie ergeben ( zB. zahlreiche höchstrichterliche Urteile zu Frau von Hannover – früher als Caroline von Monaco bekannt ), treffen also nicht zu.
Allerdings werde die Dame durch den außergewöhnlichen Ausstellungsort durchaus in ihrem Persönlichkeitsrecht bzw. dem Recht am eigenen Bild verletzt und das wird in diesem Fall stärker als die Kunstfreiheit gewertet.
Die Prozesse vor Landgericht und Kammergericht in Berlin drehten sich inhaltlich um den Ersatz der Anwaltskosten der Dame und um mögliche Geldentschädigungen.
Das Persönlichkeitsrecht der Klägerin wäre also nicht durch die künstlerische Fotografie ( KUG §23/1/4 , UrhG §18 ) beeinträchtigt, sondern durch die Abbildung des Kunstwerkes als Print / Abbildung im öffentlichem Raum ( das Bild wird statt in den Räumen der C/O vor den neuen Ausstellungsräumen unter freiem Himmel an einer verkehrsreichen Straße ausgestellt) und sei außerdem durch die Berichterstattung über die Ausstellung auf Facebook verletzt worden.
Das Kammergericht als nächste Instanz teilte die Auffassung und traf so ebenfalls keine Entscheidung, was denn jetzt Räume bzw Öffentlichkeit für Kunst/ künstlerischeFotografie sei.
Es bleiben für Fotografen wie Galerien offene Fragen: Kunst findet in der Interpretation der Berliner Gerichte einzig in geschlossenen Räumen von Galerien und Museen statt. Schon die Veröffentlichung in einem größeren Raum sowohl analog wie digital wird als Nutzung gewertet, die die Schranke aus KUG §23 ( 1 ) 4. gegenüber dem Persönlichkeitsrecht außer Kraft setzt.
Wird Kunst über den Ausstellungsort definiert, über das Medium, über die sie erfahren wird oder definiert sich Kunst über Inhalte und Gestaltungshöhe?
Es blieb spannend: der Fotograf Espen Eichhöfer und sein Anwalt Sebastian Graalfs hatten im Sommer 2015 Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht, um diese Frage zu klären. 2018 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass die Entscheidung des Berliner Kammergerichts richtig sei (Az.: 1 BvR 2112/15).
Wie wird eine zeitgemäße Definition von fotografischer Kunst, insbesonder Streetphotography jenseits von Museumsräumen und Bildbänden in Zukunft aussehen? Auf jeden Fall ist diese Auseinandersetzung ein gutes Beispiel dafür, dass bei gerichtlichen Entscheidungen zwischen Rechtsgütern abgewogen wird. Sie ist nicht das Ende der Streetphotography, sondern der Anfang einer Diskussion um Wertungen.
Bildquelle Beitragsbild: @ Lt. Victor Jorgensen – US archives
Dieses Bild ist das Werk eines Seemanns oder Angestellten der U.S. Navy, das im Verlauf seiner offiziellen Arbeit erstellt wurde. Als ein Werk der Regierung der Vereinigten Staaten ist diese Datei gemeinfrei.
„Die Zustimmung wäre relevant, wenn das Bild in irgendeiner Weise gewerblich eingesetzt worden wäre oder es sich nicht um Kunst gehandelt hätte.“
Da habt ihr § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG wohl missverstanden.
Es reicht für eine erlaubte Veröffentlichung nicht aus, dass das Foto Kunst ist. Vielmehr muss „die Verbreitung oder Schaustellung einem höheren Interesse der Kunst“ dienen.
Das Foto muss derart große Kunst sein, dass das Interesse, dieses Meisterwerk zu veröffentlichen, das Persönlichkeitsrecht der Abgebildeten weit überragt.
Die Gerichte haben dies bei der Abwägung wohl verneint.
Hallo Michael.
Du hast grundsätzlich recht.Die Abwägung einerseits zwischen Kunst und Persönlichkeitsrecht ist natürlich relevant. Diese Entscheidung wurde ja im Urteil getroffen – das Persönlichkeitsrecht wurde gegenüber des Kunstvorbehalts nicht so hoch gewertet, dass Schadensersatz oder Geldentschädigung für immateriellen Schaden zugesprochen wurde.
Für den Erstattungsanspruch der Anwaltskosten der Dame spielt ganz sicher aber eine Rolle: was ist öffentlich in unseren Zeiten, auch für die Präsentation von Kunst.
Es geht auch nicht darum, die Entscheidungen von Gerichten zu kritisieren, sondern der Diskussion um „das Ende der Streetphotography“ die Hysterie zu nehmen und darauf hinzuweisen, dass Rechtsprechung ein lebendiger Prozess ist, der sich mit gewandelten Lebens- und Gesellschaftsumständen auseinandersetzt.